Die Schwarzerde „Terra Preta“ soll nicht nur Böden fruchtbar machen, sondern auch den Klimawandel mildern.
Von Frank Henke, Deister- und Weserzeitung 30. August 2013
Wer sich für Terra Preta engagiert, gibt sich nicht lange mit rhetorischem Klein-Klein zufrieden. Nicht weniger als die „Rettung der Welt“ stellt ein Buch zum Thema schon auf dem Umschlag in Aussicht. Davon, „Paradiese zu schaffen“, sprach auch Experte Dr. Haiko Pieplow, tätig im Bundesumweltministerium, anlässlich eines Workshops in Hameln. Von einer „schwarzen Revolution“, von „Wundererde“ oder auch von der „mächtigsten Klimaschutzmaschine, die wir besitzen“, ist zudem die Rede.
Doch was ist nun dieses „Wunder“, in das so gewaltige Hoffnungen gesetzt werden? Das gleich vorweg: Neu ist es nicht. Ganz im Gegenteil.
„Terra Preta“ ist portugiesisch und heißt schlicht „Schwarze Erde“. Lange Zeit konnte sich die Wissenschaft nicht so recht vorstellen, dass im Regenwald am Amazonas einst große Städte existieren konnten: zu wenig Nährstoffe im Boden, zu dünn die Humusschicht, zu wenig Nahrung für die Einwohner, lautete die Begründung. Doch dann – erst in den 1960er Jahren – entdeckten Forscher die Flächen fruchtbarer Schwarzerde. Mit Jahrzehnten Verzögerung wurde die archäologische Sensation schließlich zur ökologischen. Denn Terra Preta war kein geologisches Himmelsgeschenk für die Indios. Sie wurde – schon vor 7000 Jahren – und wird heute wieder gemacht.
Die Vorzüge der schwarzen Erde geben „Terra Preta do Indio“ tatsächlich etwas von einem Wunderding: Sie macht Böden dauerhaft fruchtbar, verwandelt Abfall in Dünger, könnte nebenbei mancherorts Hygieneprobleme lösen und vor allem, so heißt es, den Klimawandel entscheidend mildern.
Einer von denen, die diese Kunde in die Welt tragen wollen, ist der Berater für erneuerbare Energien und grüne Lokalpolitiker Rainer Sagawe. Er brachte das Thema in die Hameln-Pyrmonter Kreispolitik. Und er hat ein eigenes Produkt auf den Markt gebracht, das seinen Beitrag zur Herstellung der Schwarzerde leisten soll.
„Die Zutaten für Terra Preta sind immer die gleichen“, heißt es in dem Buch, „Terra Preta – die schwarze Revolution aus dem Regenwald“, an dem unter anderem der schon zitierte Haiko Pieplow mitgeschrieben hat. Die Zutaten seien: „Pflanzenkohlepulver, organische Abfälle, Mikroorganismen, Bodentiere und Lust auf liebevollen Umgang mit der Natur.“ Konkreter bedeutet das: dem Bioabfall – vom Rasenschnitt über Küchenabfälle bis zum geschredderten Baumschnitt – werden Kohle und Mikroorganismen hinzugefügt. Letztere sind flaschenweise im Handel erhältlich. „Terra Preta ist vom Balkonkübel über den Kleingarten bis hin zu Gärtnerei und Landwirtschaft anwendbar“, sagt Sagawe. Verschiedene Rezepturen sind im Umlauf. Der Hamelner verwendet diese: 40 Prozent Grünschnitt, etwa 30 Prozent Dung, 10 Prozent Gesteinsmehl und etwa 20 Prozent Holzkohle und Mikroorganismen.Die Mikroorganismen – Milchsäurebakterien, Hefepilze, Photosynthesebakterien – zersetzen (fermentieren) Grünschnitt und Dung, die mit Nährstoffen gesättigte und mit Mikroorganismen belebte Kohle bleibt für Jahrtausende im Boden stabil und sorgt für die namensgebende schwarze Färbung. Vor allem aber macht sie die Schwarzerde so wertvoll.
Sie sorgt dafür, dass Nährstoffe nach dem „Tischlein-deck-dich-Prinzip“, wie Sagawe sagt, in ihren feinen Poren festgehalten und den Pflanzen zur Verfügung gestellt werden. Die Bodenbiologie wird intensiviert, die Fruchtbarkeit gesteigert, auch die Wasserspeicherung verbessert. „Holzkohle hat eine 300-fach größere Oberfläche als normale Erde“, rechnet der Hamelner vor. Bei einer Zugabe von zehn Prozent in das Schwarzerde-Gemisch vergrößere sich die Oberfläche im Boden also immer noch um das 30-Fache. Diese Oberfläche werde dann – wie alle Oberflächen – von einem „mikrobakteriellen Rasen“ besiedelt: „Zum Beispiel fressen Springschwänze Bakterien, sie selbst sind wieder Futter für andere Bodenlebewesen.“ Und diese Kette lasse sich fortsetzen bis zu Käfern und Regenwürmern.
Knackpunkt ist nun aber die kostengünstige Verfügbarkeit der Kohle. Für Balkonkästen oder den Mini-Garten sind kleine Pyrolyseöfen eine Lösung. Während sich drinnen Holzhackschnitzel oder gekaufte Pellets langsam in Kohle verwandeln, lassen sich obendrauf die heißen Holzgase zum Kochen nutzen.
Rainer Sagawe hat selbst einen solchen Ofen entwickelt. Am Anfang stand ein erster Versuch aus zwei Blechdosen. Herausgekommen ist schließlich – ausgearbeitet von Metalldesigner Dirk Altschwager aus Dörpe – ein eleganter Terrassenofen aus Edelstahl. Mit Pellets brennt er 75 bis 80 Minuten. Für eine Vater-und-Sohn-Portion Gemüseeintopf im Garten der Sagawes reicht das locker. Sohn Jörgen kümmert sich gemeinsam mit Vater Rainer um den Vertrieb des „Chantico-Terrassenofens“. Der Preis verlangt mit 259 Euro eine gewisse Portion Terra-Preta-Idealismus. Ein weiteres, etwas größeres Modell ist in Arbeit.
Spätestens in der Landwirtschaft müssen es dennoch ganz andere Kaliber sein: Anlagen, die mehrere Tausend Tonnen Pflanzenkohle im Jahr herstellen können. Doch auch diese sind bereits auf dem Markt.
Wertvoll ist die schwarze Erde jedoch nicht nur für Garten- und Ackerpflanzen, sondern auch für die CO2-Bilanz: Absterbende Pflanzen setzen das Klimagas Kohlendioxid frei. Werden sie jedoch mittels Pyrolyse verkohlt, bleiben 25 bis 50 Prozent des Kohlenstoffes als schwer abbaubare Kohle erhalten. Wenn alle deutschen Kleingärtner, rechnen die Terra-Preta-Verfechter beispielsweise vor, den Humus-Gehalt ihrer Böden mittels Schwarzerde von zwei bis drei auf zehn Prozent steigern würden, würde das gut 30 Millionen Tonnen CO2 kompensieren. Etwa 800 Millionen Tonnen bläst Deutschland jährlich in die Luft. Würden sich alle deutschen Landwirte beteiligen, können sie der Atmosphäre knapp zehn Milliarden Tonnen Kohlendioxid entziehen.
Ein Knackpunkt bei der ersten Vermittlung des Themas Terra Preta dürften jedoch oft nicht Klima und Kohle, sondern ein anderes Wort sein: Dung. Denn gemeint sind hier letztlich nicht nur tierische, sondern eben auch menschliche Ausscheidungen. „Verwenden wir Dung – auch den eigenen –, gelangen Phosphor, Stickstoff und Mikroorganismen wieder in den Kreislauf“, argumentiert Rainer Sagawe begeistert. Damit stoße man allerdings auf „antrainierte Tabus“, räumt die Fachliteratur ein. Ein Muss zur Herstellung von Terra Preta ist das Hinzufügen von menschlichem Urin und Fäkalien nicht – doch es birgt Potenzial: Trinkwasser ließe sich sparen, Nährstoffe erhalten, hygienische Bedingungen in ärmeren Ländern verbessern. In Hameln hat die Schwarzerde-Pionierin Brunhild Kühl bereits eine Terra-Preta-Toilette in Betrieb.
Sozialdemokraten, Grüne und Piraten im Hameln-Pyrmonter Kreistag würden den Landkreis in Sachen Terra Preta nun gerne als Vorreiter sehen. Kreisabfallwirtschaft und Hochschule Weserbergland veranstalteten Ende Februar den eingangs erwähnten Workshop: „Terra Preta – Eine Alternative für den Landkreis Hameln-Pyrmont?“, lautete der Titel. Sagawe hofft, dass bald eine Machbarkeitsstudie auf den Weg gebracht wird. Diese soll untersuchen, ob sich der im Kreis anfallende Grünschnitt für eine wirtschaftliche Schwarzerde-Produktion verwenden ließe.
Bis ein solches – deutschlandweit einmaliges – Großprojekt auf den Weg gebracht werden kann, freuen sich die Schwarzerde-Aktivisten der Region über kleine Fortschritte. Zum Beispiel über private und öffentliche Schwarzerde-Gärten – etwa am Energie- und Umweltzentrum in Eldagsen oder am Bildungszentrum Ith in Holzen. Revolutionen beginnen eben häufig im Kleinen.
Literatur: Ute Scheub, Haiko Pieplow und Hans-Peter Schmidt: Terra Preta – Die schwarze Revolution aus dem Regenwald, Oekom, 19,95 Euro.
Sollte es so einfach sein? Eine selbst hergestellte Erde gilt ihren Fans als potenzielles Heilmittel gegen große Übel unserer Zeit: gegen den Klimawandel, gegen Überdüngung und ausgelaugte Böden, gegen Hygieneprobleme in armen Ländern. Hameln-Pyrmont könnte in Sachen „Terra Preta“ zum Vorreiter werden.
Eine Handvoll „Wundererde“ (oben). Wesentlicher Bestandteil von Terra Preta ist Holzkohle. Rainer Sagawe stellt sie aus Pellets in seinem Pyrolyseofen her (unten) und nutzt die Wärme zum Kochen. Auch der Bio-Haushaltsmüll (unten rechts) wird Bestandteil der schwarzen Erde.